Der soziale Frieden in der Schweiz ist keine Selbstverständlichkeit. Er basiert darauf, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Verhandlungen über Gesamtarbeitsverträge stets auf ausgewogene Gesamtpakete einigen, die auf branchenspezifische Rahmenbedingungen Rücksicht nehmen. Werden diese Gesamtarbeitsverträge vom Bundesrat für allgemeinverbindlich erklärt, müssen beide Seiten darauf vertrauen können, dass die «Abmachung» gilt. «Pacta sunt servanda» – Verträge müssen eingehalten werden. Dies schafft Rechts- und Planungssicherheit für alle Beteiligten, und kommt damit auch allen zugute.
Sozialpartnerschaft langfristig schützen
Die Gewerkschaften gefährden nun diese Qualitäten. In ihrem Einsatz für pauschale Mindestlöhne für alle setzen sie darauf, in einzelnen Kantonen Fakten zu schaffen – und Mindestlöhne festzuschreiben, die über jenen von Gesamtarbeitsverträgen liegen. Mit diesen kantonalen Sonderlösungen hebeln sie unter dem Deckmantel «Sozialpolitik» die Wirtschaftspolitik des Bundes aus – und sie missachten die ausgehandelten Verträge. Für zukünftige Verhandlungen ist das Gift. Wenn ein Vertragspartner schon daran denkt, wie die Abmachung zu umgehen ist, bevor die Tinte des Vertrags trocken ist, schadet das dem Vertrauen nachhaltig. Die Einführung von Mindestlöhnen in Basel-Stadt, Neuenburg, Genf, Jura und Tessin ist denn auch eine schwere Belastungsprobe für die Sozialpartnerschaft. Und sie führen zu einem Flickenteppich.
Dieser Entwicklung ist ein Riegel zu schieben. Darum ist die ZHK erfreut, dass nach dem Ständerat auch der Nationalrat der Motion «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen» von Erich Ettlin zugestimmt hat. Die Motion verlangt zu Recht, dass die Bestimmungen eines allgemein verbindlichen Gesamtarbeitsvertrags zu Mindestlohn, 13. Monatslohn und Ferienanspruch anderslautenden Bestimmungen der Kantone vorgeht.
Mindestlöhne erhöhen Eintrittshürden in den Arbeitsmarkt
Im Kanton Zürich sollen nun in den Städten Zürich und Winterthur sogar auf kommunaler Ebene pauschale Mindestlöhne vorgeschrieben werden. Mindestlöhne sind gerade für Junge und tief qualifizierte Arbeitnehmende ein Problem, da sie die Eintrittshürden in den Arbeitsmarkt erhöhen. Da durch die Mindestlöhne einige Jobs für die Firmen unrentabel werden, fallen diese Stellen weg und es gibt weniger verfügbare Stellen für Personen mit keiner oder nur wenig Arbeitserfahrung. Davon betroffen sind insbesondere Jugendliche, Quereinsteiger oder aber auch Personen nach einem Wiedereinstieg, beispielsweise nach der Kinderbetreuung. Zusätzliche negative Auswirkungen haben Mindestlöhne auf Praktikanten oder Studierende. Diese sind während Praktika oder Nebenjobs meist noch nicht gleich leistungsfähig wie erfahrene Angestellte. Der Einstieg ins Berufsleben oder der Nebenverdienst sind im Arbeitsleben als "bezahlte Ausbildung" analog zu einem Lehrlingslohn allerdings wichtig. Ebenso verschärfen Mindestlöhne den Wettbewerb um Arbeitsstellen. Arbeitnehmende mit geringer beruflicher Qualifikation stehen dadurch im Wettbewerb mit produktiveren und besser qualifizierten Arbeitnehmenden.
Sozialpartner, nicht der Staat sollen die Löhne austarieren
Tritt die Motion Ettlin in Kraft, könnte in Branchen mit allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen weiter darauf vertraut werden, dass diese Gültigkeit haben. Das ist aus Sicht der ZHK wichtig. Es kann nicht die Aufgabe des Staates sein, die Höhe der Löhne undifferenziert festzulegen. Besonders in Branchen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Interessenabwägung mit Blick auf die konkreten Rahmenbedingungen austariert haben, muss dies Vorrang haben. Das ist gelebte Sozialpartnerschaft. Sie zu schützen ist im Interesse aller.