Ende Oktober konnte ich im Rahmen einer von ICT-Switzerland organisierten Studienreise Israel besuchen. Von vielen fast unbemerkt hat sich diese Land in den letzten Jahren zu einer der führenden Nationen im Bereich neuer Technologien entwickelt. Die Entstehung von rund 700 neuen Startups jährlich, die Ansiedlung internationaler Technologiekonzerne und die Bildung neuer Forschungszentren zeugen davon.
Als selber aus einem Land kommend, das regelmässig Spitzenpositionen bei Rankings in Bezug auf Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit einnimmt, fragt man sich, was die Erfolgsgeschichte Israels ausmacht.
Unterschiedliche Ausgangslage
Anfängliche Treiber waren in Israel zum einen politische Entscheide: Liberalisierungsschritte in den 90er Jahren ermöglichten den Wandel hin zu einer mehr marktwirtschaftlich strukturierten Wirtschaft, und strategische Investitionsentscheide der Regierung sowie gezielte Förderung der Forschung legten den Grundstein für Innovation. Aber auch die geopolitische und historische Situation Israels war entscheidend. Die Armee hatte seit je eine hohe Bedeutung, und die dort von Spezialisten gewonnenen Erkenntnisse konnten anschliessend der zivilen sprich wirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden, was u.a. die führende Stellung Israels im Bereich der Cyber Security erklärt.
Befragt man heute die Verantwortlichen für die staatliche Innovationsförderung oder den universitären Technologietransfer, Exponenten der Forschungsabteilungen privater Technologieunternehmen oder Vertreter von Startup-Cluster nach den Erfolgsfaktoren, kommt an erster Stelle die Antwort: „It’s the ecosystem“ – dieses Biotop, in welchem Wirtschaft, Forschung, Geldgeber und viele smarte Leute einen gemeinsamen Boden für Innovation finden. Kern ist auch hier vielfach ein politischer Entscheid, so z.B. jener, an der Universität von Beer-Sheva die Forschung zum Thema Cyber Security zu konzentrieren.
Daneben zeichnet vor allem die jungen Leute der Wille aus, unternehmerisch tätig zu sein. Scheitern ist erlaubt, ja wird beinahe erwartet, denn daraus können Lehren für etwas Besseres gezogen werden.
Zuwanderung stärkt Wirtschaftsleistung
Inwiefern lässt sich die Situation Israels und der Schweiz vergleichen? Geopolitisch sicher nicht, die Schweiz im Zentrum Europas durfte und darf von stabilen Verhältnissen profitieren und ist nicht mit den gleichen Problemen konfrontiert wie die junge Nation in einer Region, die seit Jahrzehnten einem Pulverfass gleicht. Unbestritten hatten und haben die jeweiligen entsprechenden Rahmenbedingungen Einfluss auf Lebensumstände und – einstellung der Bevölkerung, politische Prioritätensetzung durch den Staat aber auch Investitions- und Standortentscheide der Wirtschaft. Andere Gemeinsamkeiten lassen sich eher ausmachen. Beide Länder verzeichneten und verzeichnen eine starke Zuwanderung und sie verfügen nicht nur über eine hohe Integrationsfähigkeit, vielmehr gelingt es, vom Potential der Zugewanderten zu profitieren. Aufgrund der Kleinheit ist es zudem an beiden Orten wichtig, der Wirtschaft internationalen Handel zu ermöglichen.
Allerdings gilt es die Situation Israels auch realistisch anzusehen. Der Boom wird auch befeuert durch einen nicht unerheblichen Aufholbedarf. Die Arbeitsproduktivität Israels liegt deutlich unter dem Durchschnitt der OECD, ein Grossteil der Bevölkerung ist nicht erwerbstätig. Der Mangel an Fachkräften für den Hightech-Bereich hat zur Folge, dass sich die Branche seitwärts entwickelt. Hier sind neue Bildungsstrategien gefordert, im Bereich der Forschungsförderung braucht es neue Wege, hier funktioniert nicht mehr das gleiche wie früher. Ein Problem, dem sich die Schweiz im übrigen gleichermassen gegenüber sieht.
Mut zum Risiko
Die Schweiz macht vieles richtig. Deshalb ist sie erfolgreich. Allerdings: die neuste Ausgabe des Global Competitiveness Reports, der Faktoren stärker gewichtet, welche in die Zukunft weisen, und wo die Schweiz nicht mehr auf dem ersten Platz liegt, muss uns zu denken geben. In verschiedenen Bereichen kann sich unser Land denn auch ein Beispiel nehmen an Israel: Die Rahmenbedingungen müssen so sein, dass sie die Entstehung eines „Ecosystems“ begünstigen, wo Innovation stattfinden kann. Mehr Mut zum Risiko wäre angebracht – unsere Startup-Landschaft darbt nach wie vor an der Möglichkeit, Innovationen im Inland skalieren zu können. Es gilt hungrig zu bleiben – wir nehmen Erfolg heute als selbstverständlich. Zuzug von Wissen muss als Chance und nicht Bedrohung gesehen werden. Und letztlich: ein bisschen mehr Chuzpe würde auch uns nicht schaden.