1984 textete Herbert Grönemeyer in seinem Erfolgssong «Männer»: Wann ist ein Mann ein Mann? / Männer haben Muskeln / Männer sind furchtbar stark / Männer können alles / Männer kriegen ʼnen Herzinfarkt.
Wie würde er heute texten? Haben sich die traditionellen Geschlechterrollen in den letzten Jahren abgeschwächt? Die meisten Menschen würden diese Frage bejahen. In der Tat wurde in der letzten Zeit die formale Gleichheit zwischen den Geschlechtern in unseren Breitengraden mehr und mehr verwirklicht. Mädchen und Frauen sind gleich gut und in vielen Fällen sogar besser ausgebildet als junge Männer. Rechtliche Ungleichheit gibt es kaum mehr.
Weithin unbemerkt hat sich allerdings eine zunehmende Trennung der inhaltlichen Vorlieben von Männern und Frauen vollzogen. Seit den 1990er-Jahren hat sich eine neue Art von Rollenbild entwickelt: Traditionelle Rollenvorstellungen werden mit einer neuen Sichtweise auf die Gleichheit zwischen Mann und Frau kombiniert. Frauen wollen wählen, ob sie zu Hause bleiben oder eine Karriere anstreben möchten. Parallel dazu hat sich ein neuer Kult um die Mutterschaft entwickelt. Die traditionellen Rollenvorstellungen haben sich demnach nicht abgeschwächt, sondern in einem neuen Sinne eher verstärkt. Aktuelle empirische Befunde zeigen überraschenderweise: Je stärker die Frauen rechtlich gleichberechtigt sind, desto verschiedener sind die Präferenzen zwischen den Geschlechtern. Frauen wählen in ihrer Ausbildung verstärkt «Frauenfächer», häufig Geistes- und Sozialwissenschaften. Männer wenden sich zunehmend klassischen «Männerfächern» wie Ingenieurwesen und Informatik zu. Im Ergebnis gibt es in wohlhabenden Ländern prozentual weniger Frauen mit einer Ausbildung in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern als in Entwicklungsländern.
Damit hat sich einerseits bei vielen gut ausgebildeten Paaren eine Arbeitsteilung herausgebildet, bei der Männer Jobs mit 50 bis 60 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit und hohem Einkommen ausüben. Ihre Frauen arbeiten hingegen in familienfreundlichen Berufen, vorzugsweise in Teilzeit und mit beschränkten Karrierechancen.
Andererseits gibt es neuerdings eine zunehmende Teilzeitorientierung bei vielen gutverdienenden Ehepaaren, die sich das leisten können. Begünstigt wird dies durch eine Steuer- und Abgabenpolitik, die durch starke Steuerprogression und hohe Kita-Gebühren Vollzeitarbeit für beide Ehepartner wenig attraktiv macht. Jedoch ist die Teilzeit sehr ungleich verteilt: Männer arbeiten in der Schweiz zu 19 % Teilzeit, Frauen hingegen zu 58 %.
Fazit: Von Gender Shift ist wenig festzustellen.