Regierungspräsident Ernst Stocker (SVP) bewies in seinem ersten Votum, dass er bereits in munterer Wahlkampflaune ist. Gerade mit Blick auf Bundesbern spüre er zuweilen «herzlich wenig liberalen Geist». Zürich stehe dagegen gut da – und der Finanzdirektor untermauerte das mit Zahlen: Der Kanton Zürich habe in den letzten vier Jahren 5 Milliarden Franken investiert – und trotzdem 1 Milliarde Franken Schulden abbauen können. Die Sogwirkung des Standorts sei gross: Die Hälfte der ETH-Abgängerinnen und -Abgänger bleibe in Zürich – und finde in einem der hiesigen Unternehmen eine attraktive Stelle. Die anderen vier bürgerlichen Kandidierenden für den Regierungsrat pflichteten bei, betonten aber auch, dass es noch viel zu tun gebe.
Einsatz für die Wirtschaft – und damit für den Wohlstand
Die Podiumsdiskussion «Wie soll Zürich regiert werden?» ist der Auftakt zum gemeinsamen Wahlkampf der bürgerlichen Parteien FDP, Die Mitte und SVP. Vor rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörern diskutierten unter der Leitung von Reto Brennwald neben Ernst Stocker die bisherigen Regierungsrätinnen Natalie Rickli (SVP, Gesundheitsdirektion), Silvia Steiner (Die Mitte, Bildungsdirektion) und Carmen Walker Späh (FDP, Volkswirtschaftsdirektion) sowie der neu antretende FDP-Kandidat Peter Grünenfelder, Direktor der Denkfabrik Avenir Suisse. Zum Abschluss der Diskussion im «Quai Zurich Campus» am Hauptsitz der Zurich Insurance Group sagte Regine Sauter, Direktorin der Zürcher Handelskammer: «Wir sind überzeugt, dass diese fünf Personen in Zürich auch in Zukunft eine bürgerliche Politik gewährleisten. Sie alle setzen sich für die Wirtschaft, für den Standort und damit für unseren Wohlstand ein.» Organisiert war der Anlass vom Forum Zürich, der Plattform der Zürcher Wirtschaftsverbände.
Das geschlossene Auftreten im Regierungsratswahlkampf wird von den bürgerlichen Parteien FDP, Die Mitte und SVP gemeinsam getragen. Ziel ist, bei den Wahlen vom 12. Februar 2023 die Mehrheit in der siebenköpfigen Zürcher Regierung zu verteidigen und auszubauen. Oder wie Robert E. Gubler, Vorsitzender des Forums Zürich, formulierte: «Der Kanton Zürich muss sich als Wirtschaftsmotor der Schweiz und Lebensraum von 1,5 Millionen Menschen auf eine zuverlässige, stabile und erfolgreiche Regierungspolitik verlassen können.» Wichtig ist zudem auch, wie Regierungsrätin Carmen Walker Späh betonte: «Wir brauchen auch eine Mehrheit im Parlament – vergessen wir das nicht!»
Fachkräftemangel mit Reformen entschärfen
Dass Zürich gut dasteht, zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh sagte: «Wir haben eine Stellenlosigkeit von 1,6 Prozent – ökonomisch betrachtet bedeutet das Vollbeschäftigung.» Die Kehrseite sei der Fachkräfte- oder treffender der Arbeitskräftemangel, der fast allen Branchen Sorgen bereite. Sie verfüge leider über keinen Zauberstab, aber es gebe Rezepte, die Besserung bringen könnten. Sie denke etwa daran, Frauen zu animieren, ihre Arbeitspensen zu erhöhen, etwa durch die Inidivualbesteuerung, oder an eine Reform des Arbeitsgesetzes, das aus dem letzten und vorletzen Jahrhundert stamme und zum Beispiel völlig weltfremde Vorgaben zur Sonntagsarbeit mache. Eine zentrale Aufgabe sei mit Blick auf die drohende Energiemangellage, die Verfahren für neue Projekte zu beschleunigen: «Wir müssen in der Energieproduktion unabhängiger werden.»
Bildungsdirektorin Silvia Steiner zeigte sich erfreut, dass der Lehrkräftemangel für den Moment gut bewältigt werden konnte. Sie sei stolz, wie gut die Schulen die Pandemie bewältigt hätten, trotz unterschiedlichster Ansprüche und Haltungen, mit denen sie konfrontiert gewesen seien. Mit Blick auf die Forschung bereite ihr das ungeklärte Verhältnis zur EU und der Ausschluss aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon Sorgen: «Es droht eine schleichende Erosion.» Sie gäben zwar Gegensteuer, indem sie Finanzierungen ermöglichten oder internationale Kooperationen forcierten. Das reiche aber nicht. Wichtig ist für Silvia Steiner deshalb, dass möglichst bald Rechtssicherheit im Verhältnis zur EU erreicht werden kann.
Entscheidungsstau in Bern
Der neu antretende Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder forderte, dass sich die Kantone aktiver in die EU-Debatte einschalten. In Bern gebe es einen eklatanten Entscheidungsstau. Peter Grünenfelder schlussfolgerte: «Wenn der Bundesrat nicht vorwärts macht, müssen die Kantone auf die Hinterbeine.» Im Sinne einer «kleinen Aussenpolitik» müssten sie das Heft vermehrt selbst in die Hand nehmen. Insgesamt müsse insbesondere der Zürcher Regierungsrat den Gestaltungsrum, den er habe, voll ausnutzen. Zürich sei zwar tatsächlich gut unterwegs – «aber wir dürfen nicht stehen bleiben.» Die Staatsquote nehme zu, der öffentliche Sektor wachse stärker als der private, Sorgen bereite auch, dass mehr Firmen aus Zürich wegzögen als neue ansiedelten.
Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli pflichtete Peter Grünenfelder bei, dass Zürich nicht stehen bleiben dürfe. Die Voraussetzungen dafür seien gut, wie der Regierungsrat in der Pandemie bewiesen habe. Die Zusammenarbeit im Gremium funktioniere ausgezeichnet. Zu Beginn der Pandemie hätten Gesundheitsaspekte dominiert, dann seien vermehrt auch Wirtschafts- und Bildungsaspekte in die Güterabwägung eingeflossen. Diese wichtige Güterabwägung sei direktionsübergreifend offen und durchaus auch hin und wieder kritisch vorgenommen worden. Das Resultat lasse sich sehen: «Wir sind gut durch die Pandemie gekommen.» Diesen offenen Geist brauche es auch für die neue Legislatur, sagte Rickli. «Dann bleibt Zürich attraktiv, dann bestehen wir im Standortwettbewerb – und bieten den Zürcherinnen und Zürchern einen guten Lebensraum.» asü