Diesen Herbst hat der Ständerat über das revidierte CO2-Gesetz beraten. Ziel der Vorlage ist es, bis 2030 die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um die Hälfte zu reduzieren. Erst im Juni dieses Jahres hatte das Stimmvolk mit seinem Ja zum Klimaschutzgesetz das Ziel «Netto-Null» bis 2050 im Gesetz verankert. Während die Diskussionen in der Politik weitergehen, lohnt sich ein Blick in die Wirtschaft. Denn viele Unternehmen haben bereits heute Projekte zur Senkung des CO2-Ausstosses initiiert und umgesetzt. Wir, die Wirtschaft hat sich mit Karin Lenzlinger, Präsidentin der ZHK, zum Thema Wirtschaft und Klimaschutz ausgetauscht.
Wir, die Wirtschaft: Es wird viel über den Klimawandel gesprochen. Verschiedene Forderungen und Ideen stehen im Raum, teilweise werden sie bereits umgesetzt. Das Ziel «Netto-Null» bis 2050 ist jedoch ambitiös. Sind wir auf dem richtigen Weg?
Karin Lenzlinger: Mit der Annahme des Klimaschutzgesetz haben wir bereits die ersten Massnahmen beschlossen. Das Klimaschutzgesetz hat aber keinen Schönheitswettbewerb gewonnen, insbesondere nicht aus einer wirtschaftsliberalen Sicht. Das Gesetz schafft aber mehr Planungs- und Investitionssicherheit für Unternehmen, die dadurch ihr Engagement für den Klimaschutz weiter ausbauen werden. Im Weiteren sind konkrete Fördermassnahmen beschlossen worden, welche die Entwicklung von innovativen und effizienten Technologien unterstützen. Ich bin der Überzeugung, dass dies der richtige Weg ist. Denn anstelle von innovationsverhindernden Verboten wird ein pragmatischer und lösungsorientierter Ansatz verfolgt. Insbesondere mit Blick auf eine mögliche Energiemangellage und geopolitische Verwerfungen sind Massnahmen für weniger Abhängigkeit der Schweiz von Energieimporten sehr zu begrüssen.
Wie sehen Sie es mit der Verantwortung für die Erreichung dieses Ziels? Welche Verantwortung trägt die Wirtschaft aufgrund ihrer Tätigkeit und ihrer Mittel? Darf man Unternehmen stärker in die Verantwortung ziehen als einzelne Bürgerinnen und Bürger?
Kaum jemand bestreitet, dass wir – insbesondere auch in der Schweiz mit ihrem hohen Wohlstand – mit einem immensen globalen Klimaproblem konfrontiert sind. Diese Herausforderung können wir nur gemeinsam schaffen. Daher müssen alle, die Unternehmen sowie die einzelnen Bürgerin-nen und Bürger, Verantwortung übernehmen und einen entsprechend angemessenen Beitrag leisten, denn die Wirtschaft ist kein vom Rest der Gesellschaft abgeschottetes Ökosystem. Als Bürgerinnen und Bürger gehören wir zur Wirtschaft. Wir arbeiten, beziehen einen Lohn und wir konsumieren. Wir fördern die Wirtschaft und wir profitieren von ihrer Wertschöpfung. Kurz gesagt: Wir sind die Wirtschaft. Die Wirtschaft hat sich dabei immer als Teil der Lösung gesehen und ist sich weitgehend bewusst, dass sie eine besondere Verantwortung übernehmen muss. Dies hat die Abstimmungsempfehlung der Wirtschaftsverbände für das Klimaschutzgesetz klar gezeigt.
Die Wirtschaft ist schon seit Jahren daran, ihren ökologischen Fussabdruck zu senken und hat die gesetzlichen Klimaziele bis heute erreicht bzw. teilweise unterschritten. Tut man der Wirtschaft im Alltag unrecht? Ist sich die Gesellschaft zu wenig bewusst, was viele Betriebe bereits tun, um die Energieeffizienz zu erhöhen und den CO2-Ausstoss zu reduzieren?
Sämtliche kantonalen Handelskammern, economiesuisse, swissmem oder der Schweizer Baumeisterverband, um nur einige Organisationen zu nennen, haben sich für das Klimaschutzgesetz und das Netto-Null-Ziel 2050 stark gemacht. Das Engagement der Wirtschaft ist nicht neu: 1999 haben die Verbände der Schweizer Wirtschaft gemeinsam den Verein Energie-Agentur der Wirtschaft gegründet. Dieser entwickelt für Unternehmen individuelle Lösungen, um deren Energie- und Ressourceneffizienz kontinuierlich zu steigern. Im Jahr 2022 haben die teilnehmenden Unternehmen so den jährlichen CO2-Verbrauch von über 870’000 Einwohnerinnen und Einwohnern in der Schweiz eingespart, um nur ein Beispiel zu nennen. So hat die Schweizer Industrie als einziger Sektor die bisherigen Klimaziele erfüllt.
Das Bewusstsein für den Beitrag der Wirtschaft scheint aber leider wirklich nicht so vorhanden zu sein. Obwohl es genau dieses Engagement ist, was im Kampf gegen den Klimawandel tatsächlich zählt. Mediale Aufmerksamkeit allein reicht noch nicht aus.
Innovation ist ein zentraler Treiber der Dekarbonisierung. Um unseren hohen Lebensstandard weiterhin zu halten und gleichzeitig die Natur zu schonen, sind wir auf noch nicht oder noch nicht flächendeckend vorhandene Technologien angewiesen. Welche Innovationen haben das Potenzial die Dekarbonisierung voranzutreiben?
Ich möchte nicht das Potenzial einzelner Innovationen beurteilen. Wichtig ist, dass wir offen bleiben für neue Lösungsansätze, auf Verbote verzichten und keine Technologien bevorzugt behandeln. Wir können nicht vorhersehen, was technisch möglich sein wird und welche Ideen unsere hervorragenden Forscherinnen und Forscher haben werden. Daher müssen Forschung und Innovation gefördert werden, um die Technologien mit dem grössten Potenzial für eine erfolgreiche Dekarbonisierung unserer Gesellschaft zu finden.
Klimafragen und neue Technologien können zu polarisierenden Diskussionen führen und Ängste wecken, dass Energie und Strom teurer werden. Wie schaffen wir es, alle mitzunehmen auf diese Reise? Wie kommt uns allen die Energiewende zugute?
Wir sollten aufhören, der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen. Die Lösungen des Klimaproblems sind nicht kostenlos zu haben. Aber Angstmacherei mit der Nennung horrender Beträge, die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen – insbesondere einer Abschottung der Schweiz – zustande kommen, ist völlig daneben. Sie polarisiert die Bevölkerung zunehmend. Wir müssen uns deshalb alle aktiv bemühen, einen offenen Dialog zu führen und Sorgen und Befürchtungen ernst nehmen. Gleichzeitig sollten wir in unsere demokratischen Prozesse und die Innovationsfähigkeit von Forschung und Wirtschaft mehr Ver-trauen haben. Erklären wir und diskutieren wir darüber, warum die Energiewende und der Klimaschutz so wichtig sind, denn wir müssen ans Ziel. Diese Diskussionen sind nicht einfach, das ist ganz klar. Ich bin aber der Ansicht, dass sie alternativlos sind, auch weil wir wollen, dass andere Länder dies auch tun.
Wir, die Wirtschaft ist ein Dialogprojekt, das sich der Frage widmet, wie die Schweizer Bevölkerung über die Wirtschaft denkt. Das Projekt stösst den Dialog der Schweizer Bevölkerung über Wirtschaft an und geht unterschiedlichen Haltungen und Perspektiven gegenüber der Wirtschaft auf den Grund. Dabei debattieren 58 repräsentativ ausgewählte, in der Schweiz lebende Personen über wirtschaftspolitische Fragen. Die Debatten werden dokumentiert und wissenschaftlich ausgewertet.
Die Trägerschaft der Initiative ist breit abgestützt und umfasst zahlreiche Organisationen und Unternehmen aus der Privatwirtschaft, darunter die ZHK, Julius Bär, Siemens, SIX, Swiss Life und Swiss Re.