Ja zu einer offenen Volkswirtschaft – Nein zur Kündigungsinitiative

Am 27. September stimmen wir über die Kündigungsinitiative ab, und der Abstimmungskampf läuft dementsprechend auf Hochtouren. Im Rahmen dessen hat die Stiftung für bürgerliche Politik eine Studie in Auftrag gegeben, welche einen negativen Effekt der bilateralen Verträge auf das BIP pro Kopf feststellt. Dies steht jedoch den positiven Resultaten mehrerer anderer Studien gegenüber. Schlussendlich geht es bei der Kündigungsinitiative aber nicht nur darum, welche Zahlen denn nun stimmen, sondern auch um eine Wertfrage: Welche Art von Volkswirtschaft wollen wir in der Schweiz?

Bei Annahme der Kündigungsinitiative der SVP müsste das mit der EU geschlossene Freizügigkeitsabkommen innerhalb eines Jahres auf dem Verhandlungsweg ausser Kraft gesetzt werden. Durch die sogenannte «Guillotine-Klausel» würde die Aufhebung des Freizügigkeitsabkommens darüber hinaus den Wegfall der übrigen sechs Verträge der Bilateralen I bedeuten.

Bilateralen I führen zu höherem Pro-Kopf-Einkommen

Eine kürzlich veröffentlichte Studie  von Europe Economics im Auftrag der Stiftung für bürgerliche Politik untersucht unter anderem, wie sich das BIP entwickelt hätte, wenn die Schweiz 2002 die Bilateralen I nicht in Kraft gesetzt hätte. Die Autoren kommen zum Schluss, dass in diesem Fall das BIP pro Kopf für die vor 2002 ansässige Bevölkerung kumuliert für den Zeitraum von 2002 bis 2017 um rund 0,5 Prozent höher gewesen wäre. Die Ergebnisse mehrerer anderen Studien etablierter Institutionen stehen aber im starken Kontrast zu diesem Resultat. economiesuisse berechnet, dass das BIP im Jahr 2016 ohne die bilateralen Verträge pro Kopf 5,7 Prozent oder 4’400 Franken tiefer gewesen wäre. Eine Untersuchung von BAK Basel Economics im Auftrag des Bundes zeigt weiter, dass ohne die Bilateralen I das BIP pro Kopf im Jahr 2035 um 3,9 Prozent tiefer ausfallen würde. Dies bedeutet, dass sich der Einkommensverlust für jede Einwohnerin und jeden Einwohner im Jahr 2035 auf 3’400 Franken belaufen würde. Schliesslich schlussfolgerte eine Analyse der deutschen Bertelsmann-Stiftung, dass von den Ländern Europas die Schweiz am meisten vom Zugang zum EU-Binnenmarkt profitiert. Die divergierenden Zahlen lassen sich einerseits auf unterschiedlich gewählte Vergleichsperioden der Studien zurückführen (die Studie von Europe Economics beginnt 1976 – just ein Jahr nach dem massiven Wirtschaftseinbruch von 1975). Zudem klammert die jüngst veröffentlichte Untersuchung verschiedene externe Faktoren wie den Franken-Schock 2015 nicht aus. Die Zahlen sprechen also klar für den Nutzen der bilateralen Verträge mit der EU.

Schweiz auf internationale Vernetzung angewiesen

Wie schwer die Gefahr eines Verlusts der Bilateralen I wiegt, zeigt auch der Grad an Vernetzung zwischen der Schweiz und der EU. Die Schweiz verdient jeden zweiten Franken mit dem Ausland. Dabei ist die EU der mit Abstand wichtigste Markt für die exportorientierte Schweizer Industrie. 70 Prozent der Schweizer Importe stammen aus der EU und 52 Prozent der Schweizer Exporte gehen in die EU. Von den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz zu den Ländern der EU profitieren heute zwischen einem Fünftel und einem Sechstel der Beschäftigten in der Schweiz – dies sind rund eine Million Beschäftigte. Gerade für den Kanton Zürich, mit der grössten Wirtschaftsleistung des Landes, einer ausgeprägten internationalen Orientierung sowie als Standort des Interkontinentalflughafens ist dies äusserst bedeutend.

Personenfreizügigkeit matchentscheidend

Zudem ist ein offener und flexibler Arbeitsmarkt eine wichtige Voraussetzung für den Wohlstand des Kantons Zürich und des ganzen Landes. Die Schweiz leidet unter einem Fachkräftemangel, der sich in Zukunft noch weiter zuspitzen wird. Ökonomen der UBS rechnen damit, dass in den nächsten zehn Jahren ein zusätzlicher Bedarf von 300'000 Arbeitskräften entstehen wird. Um darauf zu reagieren, müssen Unternehmen weiterhin flexibel Angestellte auch in Europa rekrutieren können. Dabei zeigt sich, dass aus der EU eingewanderte Arbeitskräfte zu einem grossen Teil Fachkräfte sind – 74 Prozent der jüngst aus der EU in die Schweiz gekommenen Personen arbeiten in Berufsgruppen mit hohen oder sehr hohen Qualifikationsanforderungen. Die Zuwanderung durch die Personenfreizügigkeit wirkt also überwiegend komplementär und dämpft den chronischen Fachkräftemangel auf dem Schweizer Arbeitsmarkt.

Keine Abschottung des Landes auf Kosten der Wirtschaft und Bevölkerung

Letztlich stellt sich deswegen die Frage: Welche Art von Volkswirtschaft wollen wir in der Schweiz? Wollen wir den eingeschlagenen Weg fortsetzen und auf den Zugang zum europäischen Markt, die Personenfreizügigkeit sowie die weiteren bilateralen Abkommen wie das Luftverkehrs- und Forschungsabkommen setzen? Oder wollen wir uns abschotten, den Zugang zu hochausgebildeten Arbeitskräften und Spitzenforschern verlieren und so einen wirtschaftlichen Abschwung und letztlich einen Wohlstandsverlust in Kauf nehmen? Für die ZHK ist die Antwort klar und sie setzt sich deswegen mit Nachdruck für ein Nein zur schädlichen Kündigungsinitiative ein.

Die Schweiz profitiert stark von der engen Verknüpfung mit der EU – gerade auch von der Personenfreizügigkeit. Die Kündigungsinitiative setzt indes den bilateralen Weg aufs Spiel und stellt uns vor die Wahl: Wollen wir in der Schweiz nach wie vor eine offene und vernetzte Volkswirtschaft oder den Wegfall des gesamten Bilaterale-I-Pakets riskieren?

Video-Testimonial unserer Präsidentin Dr. Karin Lenzlinger

 

Videostatement von Bundesrat Ignazio Cassis

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