Mobilisierung im Kanton Zürich – Wer beteiligt sich eigentlich an Abstimmungen?

Die oft tiefe Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Abstimmungen und Wahlen macht die Mobilisierung zum Dauerthema. Doch wer beteiligt sich überhaupt? Und wenn ja, wie oft und aus welchen Gründen? Von den Antworten auf diese Fragen hängt ab, wie gross das Mobilisierungspotential bei einem konkreten Termin tatsächlich ist.

Im Kanton Zürich betrug die Abstimmungsbeteiligung im Mittel der letzten zehn Jahre etwa 46 Prozent: Von den im Kanton Zürich wohnhaften rund 930'000 Stimmberechtigten nimmt also in der Regel nicht einmal die Hälfte dieses zentrale Mitwirkungsrecht unserer direkten Demokratie wahr.

Doch wie es Mittelwerte so an sich haben, ist auch dieser nur die halbe Wahrheit, denn die Spannbreite war in der letzten Dekade beträchtlich: Im September 2019, als einzig die kantonale Steuervorlage 17 zur Abstimmung kam, beteiligten sich magere 27 Prozent der Stimmbürgerschaft. Satte 67 Prozent waren es hingegen im November 2021, als es um die Pflegeinitiative und das zweite Covid-Referendum ging. Weshalb ist die Mobilisierung von Termin zu Termin so unterschiedlich?

Nicht alle Stimmberechtigten beteiligen sich gleich fleissig

Um das zu verstehen, muss man wissen, dass das Stimmvolk hinsichtlich seines grundsätzlichen Beteiligungsverhaltens grob in drei Gruppen eingeteilt werden kann. Ungefähr ein Drittel davon sieht Abstimmen und Wählen als selbstverständliche «Bürgerpflicht». Diese Stimmberechtigten beteiligen sich sogar dann, wenn an einem Termin, wie dem erwähnten, ausschliesslich kantonale Vorlagen traktandiert sind. Und sie machen auch bei den Regierungs- und Kantonsratswahlen mit, an denen seit langem nur noch ein knappes Drittel teilnimmt. Am entgegengesetzten Ende der Skala befindet sich jenes Drittel, das sich im Prinzip nicht oder nur ganz ausnahmsweise beteiligt; es handelt sich dabei um Personen, die mit Politik generell wenig am Hut haben.

Aus einer Mobilisierungsperspektive am interessantesten ist das mittlere Drittel, also jene Stimmberechtigten, die sich fallweise, sozusagen à la carte, beteiligen. Ihr Interesse ist von den Vorlagen eines Termins abhängig: Befragungen, aber auch die offiziellen Beteiligungsdaten zeigen, dass die Leadvorlage, die das generelle Niveau eines Termins verankert, in den letzten Jahren oft eine eidgenössische Initiative war – wie am 3. März diejenige für eine 13. AHV-Rente, welche die Beteiligung an diesem Termin auf den vergleichsweise hohen Wert von 58 Prozent hochtrieb.

 

Medienpräsenz für Vorlagen mobilisiert zur Teilnahme

Diese eidgenössischen Vorlagen werden im Vorfeld der Abstimmung während Monaten auf allen medialen Kanälen intensiv diskutiert, sie handeln meist von (zumindest vermeintlich) einfachen, grundsätzlichen gesellschaftlichen Weichenstellungen – all das weckt das Interesse und erleichtert die Meinungsbildung und damit die Entscheidung für ein ja oder nein: Dies zumal bei Personen, für die Politik nicht im Zentrum ihres Interesses steht. Diese Leadvorlagen beeinflussen so auch, welches politische Lager allenfalls mobilisiert wird – was sich auf die anderen, zumal die kantonalen Geschäfte auswirken kann, die an einem Termin «mitschwimmen»: Denn wer sich einmal zur Teilnahme entschlossen hat, äussert sich meist zu allen Geschäften.

 

Die Beteiligung ist von der sozialen Schicht abhängig …

Sozial sind diese drei Gruppen unterschiedlich zusammengesetzt. Am ausgeprägtesten sind die Gegensätze zwischen den beiden Extremen: Verglichen mit der Stimmbevölkerung insgesamt sind unter denjenigen, die keinen Urnengang auslassen, gut ausgebildete Personen mit entsprechend hohen Einkommen klar übervertreten, ebenso Männer und «Einheimische» das heisst Leute, die schon lange im Kanton und ihrer Gemeinde wohnen – und genau das Gegenteilige gilt für die Kontrastgruppe derer, die sich im Prinzip nicht beteiligen. Das Mischungsverhältnis dieser beiden Typen erklärt auch die grossen Unterschiede im Beteiligungsniveau der Gemeinden des Kantons Zürich. 

Es ist kein Zufall, dass die Durchschnittsbeteiligung im wohlhabenden Uitikon, wo das steuerbare Medianeinkommen 86'000 Fr beträgt, mit 59 Prozent am höchsten ist. Ähnlich hoch ist sie aber auch in Goldküstengemeinden wie etwa Zumikon oder Herrliberg, sowie in einzelnen kleinen Landgemeinden wie Dättlikon oder Berg am Irchel mit einer lokal stark verwurzelten bäuerlichen Bevölkerung. Am Gegenpol stehen grosse «arme» Agglomerationsgemeinden im Norden und Westen Zürichs wie Oberglatt (33 Prozent Durchschnittbeteiligung; Medianeinkommen 50'000 Fr.) und Opfikon im Glatttal oder Schlieren und Dietikon im Limmattal.


… aber auch das Alter spielt eine wichtige Rolle 

Das zeigen sehr zuverlässige Daten zu den Kantons- und Nationalratswahlen 2023 aus dem Stimmregister der Stadt Zürich, die sich aber wohl mehr oder weniger auf den Kanton übertragen lassen. In den Kantonsratswahlen, also dann, wenn vor allem die treuen, gewohnheitsmässigen Urnengänger teilnehmen, nimmt die Beteiligung mit dem Alter sehr stetig von etwa 25 Prozent Prozent bei den zwanzigjährigen auf ein Maximum von rund 60 Prozent bei den 70-jährigen Männern und etwa 50 Prozent bei den Frauen zu – das bedeutet nichts anderes, als dass in der ersten Gruppe Senioren, zumal ältere Männer, klar übervertreten sind, während das umgekehrte für die Gruppe der zumeist Abstinenten gilt.


Viel Mobilisierungspotenzial bei Personen mittleren Alters

Interessant ist nun aber der Kontrast mit der Altersverteilung in den Nationalratswahlen, wo die Beteiligung mit etwa 47 Prozent ziemlich genau derjenigen an einem durchschnittlichen Abstimmungstermin entspricht – dann nimmt also auch rund die Hälfte der mittleren Gruppe teil. Auch hier ist die Beteiligung altersabhängig: Bei den unter 30-Jährigen ist sie verhältnismässig tief, dann aber erreicht sie vor allem bei den Frauen ein fast konstantes hohes Niveau, um erst bei den über 80-Jährigen wieder stark abzufallen, also jener Generation von Stimmbürgerinnen, die noch vor der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 politisch sozialisiert wurde. Auch bei den Männern gilt ähnliches, wenn auch nicht so ausgeprägt.


Im mobilisierbaren mittleren Segment, das hinsichtlich seiner sonstigen sozialen Zusammensetzung nicht so klare Konturen aufweist wie die beiden Extreme, befinden sich also vor allem auch Personen in der Altersgruppe der 30- bis etwa 55-jährigen – und weil es sich dabei um grosse Altersklassen handelt, fallen sie mengenmässig auch ins Gewicht.


Mit dem Alter verändert sich oft auch das Beteiligungsmuster 

Gerade weil das Alter eine so wichtige Rolle für die Beteiligung und damit auch die Zugehörigkeit zu einer der drei Typen spielt, kann sich letztere im Lauf des Lebens verändern, wie die Stadtzürcher Daten sehr klar zeigen: So hat beispielsweise die Beteiligung der Generation, die in den 1980er Jahren geboren wurde, seit 2011 – soweit reichen die Daten zurück – bezeichnenderweise gerade in den Kantonsratswahlen mit jedem Wahljahr zugenommen. Das relativiert auch die oft beklagte Stimmabstinenz der Jungen. Das Interesse an der Mitsprache darüber, wohin sich der Kanton Zürich und die Schweiz bewegen sollen, wächst also mit zunehmendem Alter. Vielleicht nicht zuletzt, weil das Bewusstsein, dass in Abstimmungen und Wahlen wichtige Entscheidungen getroffen werden, meist zunimmt, wenn man im Erwerbsleben steht, Steuern zahlt oder Kinder in der Schule hat.
 

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