Einflüsse des demografischen Wandels auf den Wirtschaftsraum Zürich

Ob die Schweiz die 10-Millionen-Marke knackt, ist unsicher, weil es von der Zuwanderung aus einem schrumpfenden Europa abhängt. Während Zürich weiter wächst, könnte die Schweiz bald stagnieren. Unternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle an die sich verändernden Altersstrukturen anpassen.

Während das Gespenst der 10-Millionen Schweiz durch die Medien geistert, ist es für die UN World Population Prospects 2024 wahrscheinlicher, dass dieses Szenario nicht eintritt. Die neu erschienenen Bevölkerungsszenarien der UN gehen davon aus, dass die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz 2052 mit 9,34 Mio. ihren Peak erreicht und dann wieder schrumpft. Im Vergleich zu den Szenarien des Bundesamts für Statistik (BFS), geht die UN von weniger Zuwanderung in die Schweiz aus. Ob die Schweiz die 10-Millionen-Marke knackt oder nicht, ist dabei nicht die einzige offene Frage, die stark von der Zuwanderung abhängt. Genauso wichtig ist die Entwicklung der Altersgruppen. Denn sie beeinflussen den Arbeitsmarkt und die Transferleistungen zwischen den Generationen. Auch der Lebensstil, das Ausgabenverhalten und die Risikofähigkeit sowie die Risikobereitschaft bei Investitionen verändern sich mit dem Alter. Sollte die Schweiz nicht weiterwachsen, wird die Altersgruppe der Personen im erwerbstätigen Alter nicht nur stagnieren, sondern sogar schrumpfen, was sich auch auf das Bruttoinlandsprodukt und die Steuereinnahmen auswirken wird. Selbst wenn die Schweiz als Ganzes weiterwächst, wird es grosse regionale Unterschiede geben. Gemäss dem Referenzszenario des BFS wird die Bevölkerung im erwerbstätigen Alter (20–64) bis 2040 in 10 Kantonen schrumpfen.

Wie lange wächst die Schweiz?
Die Hälfte der Zuwanderung kommt aus den Ländern Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und Portugal. Zwei Drittel der Zuwanderung kommt aus Europa. Doch Europa als Ganzes schrumpft bereits und die Anzahl der Personen im erwerbstätigen Alter (20–64) schrumpft dieses Jahr um 2,7 Mio. potenzielle Arbeitskräfte. Die Frage ist, wie lange die Bevölkerung in der Schweiz weiterwachsen wird – inmitten eines schrumpfenden Europas, bei sinkenden Geburten. Denn auch unsere wichtigsten Einwanderungsländer altern, Grossteils schneller als die Schweiz. Das heisst, es gibt weniger Menschen in diesen Ländern, die im Migrationsalter sind, und diese Länder werden immer mehr Anstrengungen unternehmen, ihre eigenen Arbeitskräfte im Land zu halten oder Ausgewanderte zurückzuholen. Einige locken mit Steuererleichterungen, damit Ausgewanderte wieder zurückkommen. Portugal war damit erfolgreich, was dazu führte, dass zwischen 2017 und 2022 der Wanderungssaldo zwischen der Schweiz und Portugal negativ war. Der Schweizer Arbeitsmarkt hat sich an die Zuwanderung gewöhnt. Sie ist nicht nur in den Bevölkerungsszenarien fest einkalkuliert, sondern auch in den Businessplänen der Firmen: sowohl auf der Personalseite als auch auf der Kundenseite. Sollte sich die Zuwanderung abschwächen, würde bald die Anzahl der Personen im erwerbstätigen Alter (20–64) nicht nur stagnieren, sondern schrumpfen. Dies ist nicht nur die Bevölkerungsgruppe der Arbeitskräfte, sondern auch die der Konsumenten und Investoren. Es sind die Personen, die Familien gründen, in grössere Wohnungen ziehen und in Wohneigentum investieren. Während die stark wachsende Gruppe der Personen über 65 Jahren andere Präferenzen hat, sich bei Umzügen tendenziell verkleinert und mehr Wohneigentum verkauft als kauft.

Zürich, Zug und Schaffhausen sind attraktiv
Während die UN-Prognosen davon ausgehen, dass die Bevölkerung in der Schweiz weniger stark wachsen wird (+5 % bis 2040) als im Referenzszenariodes BFS (+12 % bis 2040), prognostizieren sie sogar ein Schrumpfen der Anzahl Personen im erwerbstätigen Alter (20–64), um -6 % bis 2040 (BFS: +4 %). Die regionalen Unterschiede bei der Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur werden weiter zunehmen. Die Kantone Zürich, Zug und Schaffhausen werden weiterwachsen, sich aber in ihrer Altersstruktur
unterschiedlich entwickeln. Zürich wird dank der Universität und der ETH sowie einem sehr attraktiven Arbeitsmarkt weiterhin junge Menschen anziehen, weshalb die Gruppe der Personen im erwerbstätigen Alter auch in Zukunft wächst (+12 %). Auch die Kantone Zug und Schaffhausen wachsen im erwerbstätigen Alter mit +7 % stärker als der Schweizer Durchschnitt (+4 %). Bei den Personen über 65 Jahren entwickeln sich die Kantone Zürich und Schaffhausen mit einem Wachstum von rund 40 % bis 2040 nah am Schweizer Durchschnitt. Ausreisser ist der Kanton Zug, der schweizweit in der Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen mit 63 % am stärksten wächst. Bei den unter 20 Jährigen ist die Entwicklung ähnlich wie bei der Bevölkerungsgruppe im erwerbstätigen Alter. Der Kanton Zürich wächst deutlich stärker mit +16 %, während Schaffhausen und Zug nur wenig über dem Schweizer Durchschnitt liegen (+10 %).


Abbildung 1: Altersstrukturentwicklung Kantone, Schweiz, Demografik, BFS

 

Ursachen des Fachkräftemangels:

  1. Demografisch: seit 2020 gehen mehr Personen in Rente als neu in den Arbeitsmarkt eintreten.
  2. Strukturell: Ungleichgewicht von angebotenen und nachgefragten Kompetenzen.
  3. Zyklisch: durch die Wirtschaftszyklen schwankt die Nachfrage nach Arbeitskräften.
  4. Hausgemacht: Kompetenzen sind vorhanden, aber am falschen Ort.
  5. Wertewandel: Es gibt ein neues Gleichgewicht in der Work-Life-Balance.

 

Regionale Unterschiede nehmen zu
Mit der Pensionierung der Babyboomer werden dem Arbeitsmarkt seit 2020 mehr Personen entzogen, als Schulabgänger eintreten. Dieser Abfluss muss durch Zuwanderung kompensiert werden, soll der Arbeitsmarkt nicht schrumpfen. Die Veränderungen sind messbar und die Auswirkungen prognostizierbar. Die regionalen Unterschiede nehmen weiter zu. Hinzu kommt, dass dies kein temporäres Phänomen ist. Demografisch wird der Mangel an Arbeitskräften zunehmen und kann nur durch eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums gebremst werden. Es ist bereits Realität, dass Firmen aufgrund eines schwächeren Konjunkturausblicks Mitarbeitende entlassen und auf der anderen Seite dringend Fachkräfte mit Kompetenzen suchen, die sie auf dem Arbeitsmarkt nicht finden. Solche Ambivalenzen nehmen zu, wenn sich die Firmen nicht selbst um die Entwicklung ihrer Mitarbeitenden kümmern. Aufgrund dieser Ursachen sind die Firmen sehr unterschiedlich vom demografischen Wandel betroffen. Eine Analyse über die vergangene und zukünftige Entwicklung in der Branche und der Organisation ist unabdingbar, um die richtigen Ziele und individuellen Massnahmen im Umgang mit dem Fachkräftemangel zu setzen. Dazu gehören:

• Die zukünftige Nachfrage nach Arbeitskräften kann vom Geschäftsmodell und der Konjunkturentwicklung abgeleitet werden.
• Quantifizierung des Fachkräftemangels in Branchen, Firmen, Standorten, Berufen.
• Analyse von Karrierepfaden und Input für Weiterentwicklung des Bildungsangebotes.
• Welche Kompetenzen und Arbeitsprozesse kann man automatisieren oder auslagern?

Die unterschiedliche Entwicklung der Altersgruppen hat zur Folge, dass sich die Konsumpräferenzen verschieben. Selbst wenn die Bevölkerung weiterwächst, kann die Nachfrage nach gewissen Produkten und Dienstleistungen stagnieren und in einzelnen Regionen sogar sinken. Während die Nachfrage nach einigen Produkten mit dem Alter korreliert, wie zum Beispiel Kinderspielzeug oder Hörgeräte, ist die altersspezifische Nachfrage bei anderen Produkten und Dienstleistungen weniger intuitiv. Ein solches Beispiel ist die Produktgruppe «Mineralwasser, Limonaden und Säfte». Haushalte, deren Haushaltsvorstand (Person mit dem grössten Einkommen) über 75 Jahre alt ist, geben weniger als die Hälfte für Mineralwasser, Limonaden und Säfte aus, als Haushalte mit einem Vorstand zwischen 35 und 54 Jahren, zu denen auch oft noch Kinder zählen. Wie in dieser Grafik dargestellt, wird mit dem Alter deutlich weniger Mineralwasser, Limonaden und Säfte konsumiert, was einen spürbaren Einfluss auf den Umsatz mit diesen Produkten haben wird.


Abbildung 2: Konsumpräferenzen gemäss Altersstruktur 
(Daten: Haushaltsbudgeterhebung 2015–2017, BFS)

Wegen der regionalen Unterschiede ist davon auszugehen, dass die Verkäufe von Mineralwasser, Limonaden und Säften bereits in den nächsten Jahren in knapp der Hälfte der Kantone zurückgehen wird. Natürlich betrifft diese Entwicklung nicht nur den Getränkemarkt, es sind alle Branchen und Geschäftsmodelle vom demografischen Wandel betroffen. Wer diese Entwicklung antizipiert, kann das Sortiment vorausschauend auf die Kundensegmente der Zukunft anpassen. Auswirkungen auf den Finanzmarkt beleuchten Entsprechend dem obigen Beispiel muss das Sortiment auf eine alternde Gesellschaft angepasst werden. Investitionsentscheidungen sollten diese Effekte berücksichtigen und das Geschäftsmodell muss hinterfragt werden. Der demografische Wandel wird zu markanten makroökonomischen Veränderungen führen, die auch Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben. Jeder vorausschauende Anleger sollte diese Auswirkungen verstehen und bei Vorsorgeentscheidungen berücksichtigen. Diese Zusammenhänge, was Anleger über Demografie wissen müssen, wie Unternehmer vom demografischen Wandel profitieren können und welche Chancen und Risiken sich daraus ergeben, ist Thema des ersten Financial Demography Kongresses am 12. November in Basel, der auch von der ZHK unterstützt wird.

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