Die Bilateralen I wurden vor 25 Jahren und die Bilateralen II vor 20 Jahren in Kraft gesetzt. Seitdem profitiert die Schweiz vielfältig vom bewährten Vertragswerk mit der EU. Die Bilateralen garantieren stabile Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU. Und sie verschaffen hiesigen Unternehmen einen weitgehend hindernisfreien Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Das ist für viele Firmen überlebenswichtig. Mit den Bilateralen III soll dieser Erfolgsweg fortgesetzt und weiter gestärkt werden. Die langfristige Sicherung der Teilnahme der Schweiz am EU-Binnenmarkt ist entscheidend für Zürcher Unternehmen und die ganze Schweizer Wirtschaft. Doch wie sichern wir den bilateralen Weg der Schweiz mit der EU? So lautete die Ausgangsfrage am Podiumsgespräch bei Siemens in Zürich zur Bedeutung der Bilateralen für die Schweiz. Gerd Scheller, CEO Siemens Schweiz, betonte einleitend die heute guten Standortbedingungen in der Schweiz. Siemens investiere hier, weil der Markt innovativ sei, ein liberaler Arbeitsmarkt existiere und gut ausgebildete Fachkräfte vor Ort seien. Die bilateralen Verträge ermöglichten, diese Standortvorteile zu festigen. Gerd Scheller wies aber auch darauf hin: «Man muss aufpassen, dass die Kompensationsmassnahmen zur Schaffung der politischen Akzeptanz des neuen Vertragswerks, die nichts mit den bilateralen Verträgen zu tun haben, nicht zu gross werden und unseren Standortvorteilen entgegenwirken. Ich denke hier zum Beispiel an die Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen.»
«Die EU ist der grösste Markt»
Carl Illi, CEO von CWC Textil AG und Präsident von Swiss Textiles, legte den Fokus auf den sich verschärfenden Fachkräftemangel: «In einigen Jahren wird es einen Wettkampf um Arbeiterinnen und Arbeiter geben. Wenn wir an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wird der Standort Schweiz erodieren.» Als Unternehmer müsse er zudem auf der grössten Klaviatur spielen können. «Der grösste Markt ist die EU – wir müssen nicht meinen, dass alles, was wir mit der EU abbauen, in kurzer Zeit mit anderen Ländern kompensiert werden kann.»
Zur umstrittenen dynamischen Rechtsübernahme argumentierte Carl Illi, dass die Firmen, die in die EU exportieren, sowieso betroffenen und die Regulierung übernehmen müssten. Mit dem aktuellen Vertragspaket könnten wir aber Einfluss auf die Entwicklung der dynamischen Rechtsübernahme nehmen.
SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel hielt dagegen: «Wollen wir unsere Unabhängigkeit preisgeben und uns dem Gericht der Gegenpartei unterstellen – und dazu noch Milliarden zahlen?» Das Resultat der Verhandlungen liegt zwar noch nicht vor, doch Nina Fehr Düsel sagte: «Die grossen Linien sind in der Verhandlungsgrundlage, dem sog. Common Understanding bereits festgelegt, es gibt nicht mehr viel zu verhandeln.» Sie sei gegen dieses Vertragspaket, das irrtümlicherweise Bilaterale III genannt werde. Es bringe mehr Nachteile als Vorteile, für die souveräne Schweiz sei es nicht tragbar. Sie sei aber nicht gegen die Weiterführung des bilateralen Wegs.
«Der Preis ist zu hoch»
Genau dies betonte auch Balz Halter, Verwaltungsratspräsident der Halter Group. Und er fügte an: «Tatsache ist, dass wir gemessen am Common Understanding über einen institutionellen Rahmenvertrag sprechen, der sehr einseitig ist. Den Preis, den wir für einen privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt bezahlen, ist zu hoch.» Auch ohne den privilegierten Zugang zum EU-Markt könne die Schweiz auf Basis der WTO-Verträge und dem Freihandelsabkommen Güter in die EU liefern. Ein obligatorisches Referendum ist für ihn angesagt, weil der neue Rahmenvertrag Verfassungsrang habe. Eine Abstimmung kann für Balz Halter positive Wirkung haben: «Eine Ablehnung wäre ein Signal an Brüssel, an das Parlament, aber auch an den Bundesrat, dass die Schweiz sich nicht weiter einbinden lassen will.»
Wissenschaft braucht Fachleute aus dem Ausland
Joël Mesot, Präsident der ETH Zürich, brachte an dem Anlass die Perspektive der Wissenschaft ein. Er sagte: «Für die Wissenschaft steigt die Bürokratie aus der EU nicht, anders als bei den Unternehmen, dort mag das stimmen.» Auch er sei der Meinung, dass es eine Abstimmung und eine vertiefte Diskussion brauche. Dabei gelte es differenziert zu berücksichtigen, dass Zuwanderung auch Chancen biete.
Über 50% der Physiker, Mathematiker und Informatiker, die in unserem Land tätig sind, würden nicht in der Schweiz ausgebildet. 70% der Startups werden zudem von ausländischen Studierenden gegründet. Mesot betonte: «Unsere Wirtschaft ist sehr erfolgreich, sie wächst und ist deshalb auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen.»
Zum Forschungsprogramm Horizon sagte Joël Mesot, dass dieses eigentlich gar nichts mit den Verhandlungen zu tun habe: «Die Wissenschaft wurde zum Spielball der Politik.» Die ETH habe daraufhin die Initiative «Don’t take science in hostage» lanciert, die über 5’000 Forschende aus ganz Europa unterschrieben hätten. Der ETH-Präsident stellte fest: «Wenn man die Schweiz aus Horizon ausschliesst, ist das ein Eigentor.»