Die von der SVP eingereichte Volksinitiative verlangt eine «eigenständige Regelung» der Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländer in die Schweiz ohne Personenfreizügigkeit. Bei einer Annahme der Initiative dürften dementsprechend keine neuen völkerrechtlichen Verträge Personenfreizügigkeit gewähren und das bestehende Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU (FZA) müsste vom Bundesrat innerhalb von zwölf Monaten nach Annahme auf dem Verhandlungsweg ausser Kraft gesetzt werden. Ist letzteres nicht möglich, sieht die Initiative vor, dass der Bundesrat das FZA innert weiteren 30 Tagen kündigen muss.
Einheimische Arbeitsplätze von Zuwanderung nicht bedroht
Die Initianten argumentieren, dass in Folge der Einführung der vollen Personenfreizügigkeit mit der EU eine unkontrollierte und masslose Zuwanderung in die Schweiz einsetzte. Die Konsequenzen seien etwa die Gefährdung von einheimischen Arbeitsplätzen, Zersiedelung und verstopfte Strassen. Diese Argumentation ist jedoch höchst irreführend. Die Personenfreizügigkeit gilt nämlich nicht bedingungslos, sondern vorausgesetzt wird, dass ein gültiger Arbeitsvertrag vorliegt, dass man selbstständig erwerbend ist oder bei Nichterwerbstätigkeit ausreichend finanzielle Mittel nachweisen kann. In Rahmen der Observatorien zum Freizügigkeitsabkommen findet das Staatssekretariat für Wirtschaft weiter keine Hinweise darauf, dass die Zuwanderung Einheimische aus dem Arbeitsmarkt verdrängen würde. So hat die Erwerbsquote für Schweizerinnen und Schweizer von 2010 bis 2018 stetig zugenommen. Herausforderungen verbunden mit der Zersiedelung und verstopften Strassen sind ferner nicht über eine striktere Regelung der Zuwanderung anzugehen. Gefragt sind hier vielmehr verdichtetes Bauen oder smarte Verkehrskonzepte.
Fatale Auswirkungen auf die Wirtschaft
Heute sind es die vielen Unternehmen in der Schweiz, welche die Zuwanderung dezentral entsprechend ihrem tatsächlichen Bedarf an ausländischen Fachkräften steuern. Bei einer Annahme der Initiative würde dieser funktionierende Marktmechanismus zerstört und es müsste auf starre Kontingente zurückgegriffen werden, die einseitig von der Verwaltung festgesetzt würden und den Bedürfnissen der Wirtschaft nicht gerecht werden können. Deshalb kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Zuwanderung mit der Initiative «eigenständig» geregelt werden könnte. Vielmehr geht die Steuerung von den Unternehmen auf die Verwaltung über. Hinzu kommt, dass bei einer Kündigung des FZA mit der EU auch alle sechs übrigen Verträge der Bilateralen I dahinfallen würden. Damit würde der Schweizer Wirtschaft der weitgehend diskriminierungsfreie Zugang zum EU-Binnenmarkt entzogen. Auch der Land- und Luftverkehr sowie die Forschungszusammenarbeit wären davon betroffen. Angesichts der Tatsache, dass knapp über die Hälfte der Exporte der Schweiz in die EU gehen, müsste in diesem Fall mit massiven negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft und letztlich den Wohlstand in der Schweiz gerechnet werden.
Dank der heute geltenden Personenfreizügigkeit mit der EU können Unternehmen ergänzend zu den inländischen Fachkräften in Zeiten des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels flexibel und bedarfsgerecht auf ausländische Fachkräfte zurückgreifen. Gleichzeitig wirkt sich die Personenfreizügigkeit nicht negativ auf die Arbeitsmarktchancen von Schweizerinnen und Schweizern aus – im Gegenteil. Dies gilt auch nach der Corona-Krise. Die Aufhebung der Personenfreizügigkeit zugunsten eines starren, marktfernen Kontingentsystems ist daher strikt abzulehnen.