Der Wandel ist tiefgreifend – und er bietet Chancen


Der gesellschaftliche Wandel stellt auch Unternehmen vor Herausforderungen. Was sind Bedürfnisse der Mitarbeitenden, wie können sich Unternehmen behaupten und Chancen nutzen? Dies diskutierten am zweiten Anlass der Event-Reihe Wirtschaft@Wirtschaft der Zürcher Handelskammer (ZHK) unter anderem Rosmarie Michel und Angela Matthes.

«Für jetzt und die nächste Generation» lautet das Motto der Zürcher Handelskammer im Jahr ihres 150-jährigen Bestehens. Ein wichtiges Ziel ist, im Jubiläumsjahr vielfältige Diskussionen auszulösen zu Themen, die das Zürich von morgen prägen, wie ZHK-Direktorin Regine Sauter in der Begrüssung des Wirtschaft@Wirtschaft-Events sagte, der am Montagmorgen in der Zürcher Bar am Wasser stattfand. Die Veranstaltung beschäftigte sich mit den Megatrends Social Change und Gender Shift. Zu sehen waren auch die Kunstwerke, die Studierende der Zürcher Hochschule der Künste zu diesen beiden Themen gestaltet hatten. Alle sieben Kunstwerke, die im Rahmen der Partnerschaft von ZHK und ZHdK entstanden sind, finden sich auf der Jubiläumswebseite der ZHK – und können in einer Auktion erworben werden. Der Erlös geht vollumfänglich zugunsten des Solidaritätsfonds der Fondation ZHdK.

«Mit Zuversicht in die Zukunft»

Zum Bild «Schritt für Schritt» von Cheyenne Cattaneo und Ylenia Freiermuth zum Thema Social Change sagte Regine Sauter:  «Das Bild über Zürich im Jahr 2048 löst bei mir aus, dass wir trotz allen schwierigen Themen, die uns herausfordern, zuversichtlich in die Zukunft blicken können. Und wir sollten selbstbewusst sein: Der Weg ist nicht fix vorgezeichnet, wir können ihn gestalten.» Die beiden anwesenden Künstlerinnen Cheyenne Cattaneo und Ylenia Freiermuth stimmten dem zu – sie sehen den Wandel grundsätzlich als positiv an – es könne nicht schnell genug gehen, fanden sie. Eine Vision, wie Zürich 2048 aussehen sollte, wollen sie nicht definieren, da dies individuell sei. Klar ist für sie aber, dass in Unternehmen Hierarchien abgeschafft werden sollten und der Kauf eines Zweitautos aus ökologischen Gründen nicht drin liege.

Zum Bild Combined / Gender Fluidity von Fynn Heitzer kommentierte Regine Sauter: «Aus meiner Sicht bin ich dankbar, dass die Gleichberechtigung heute weit fortgeschritten ist. Frauen könne heute Direktorin der Zürcher Handelskammer, CEO oder Bundesrätin werden. Das sollte selbstverständlich sein, war es aber lange, zu lange nicht.»

«Verantwortung übernehmen»

Wo stehen wir heute in der Gleichberechtigung? Was können, was müssen Unternehmen tun? Mit Rosmarie Michel und Angela Matthes stellten sich zwei sehr erfahrene Referentinnen der Diskussion vor rund 40 Zuhörenden. Rosmarie Michel war bis 2006 Besitzerin der Confiserie Schurter am Zürcher Central und hat in den letzten vier Jahrzehnten verschiedene Verwaltungsratsmandate wahrgenommen, mehrheitlich als erste und einzige Frau. Die Gleichberechtigung sei ein langwieriger Prozess, heute brauchten Frauen aber keine spezifische Förderung mehr, weil dies bereits ein Niveau-Gefälle impliziere, meinte sie. Rosmarie Michel sagte pointiert: «Es wurde sehr viel investiert in das Potenzial von Frauen. Frauen können heute alle Aufgaben übernehmen. Diese Investitionen müssen sich jetzt amortisieren.»

Entscheidend im Umgang mit Mitarbeitenden sei in Unternehmen der Respekt: «Wir haben eine Verantwortung gegenüber dem Individuum. Zentral ist, jedem als Menschen zu begegnen und offen zu sein für Ideen anderer.» Führungskräften schreibt sie drei grundlegende Tugenden ins Stammbuch: Bescheidenheit, Beweglichkeit und Humor.

Als sehr positiv hob Rosmarie Michel hervor, dass die Universität Zürich einen eigenen Lehrstuhl für Gendermedizin geschaffen hat. Dies sei ebenfalls ein wichtiger Ausdruck von Gleichberechtigung.

Netzwerke schotten auch ab

Angela Matthes hat selbst zwei Changes, zwei Transformationen erlebt. Den ersten 2014 – als sie ihre männliche Identität hinter sich liess und zu dem Geschlecht wechselte, das sie schon immer als das ihre empfand. 2020 machte wagte sie zudem den Schritt in die Selbständigkeit und gründete becurious.li – nachdem sie über 30 Jahre lang bei der Baloise Versicherung tätig war, von der KV-Lehre bis zur CEO-Rolle in der Baloise Life Liechtenstein AG. Als befremdlich bewertete sie den kürzlichen Entscheid des Bundesrats, der sich gegen die Festlegung eines dritten Geschlechts aussprach. Angela Matthes meinte: «Man würde niemandem etwas wegnehmen, sondern Individuen die Möglichkeit bieten, sich mit ihrem Geschlecht zu identifizieren.»

Von separierender Frauenförderung in entsprechenden Netzwerken in Unternehmen rät sie ab:  «Wenn man sich nur im Netzwerk bewegt, schottet sich man ab.» Unternehmen sollten Wege finden, die alle Mitarbeitenden mitnehmen, um die Vielfalt als Mehrwert und die Kreativität für die Entwicklung neuer Ideen zu nutzen.

Dass Frauen in Führungspositionen noch immer in der Minderheit sind, führt Angela Matthes auch auf traditionelle Rollenbilder zurück. Und sie sagte: «Wenn wir neue Rollen für Frauen möchten, braucht es Rollenvorbilder, an denen sie sich orientieren können.»

Der nächste Anlass in der Reihe Wirtschaft@Wirtschaft findet am Montag, 12. Juni statt, ebenfalls ab 8.30 Uhr in der Bar am Wasser.